YouTube: Wieso lange Videos mehr neue Abonnenten bringen

Seit Längerem wird dieser Tipp von YouTube-Fachmenschen weitergegeben:

„Macht lange Videos, der Algorithmus fördert nur lange Videos. Mindestens 8 Minuten, besser 10 oder mehr.“

Wie viele solcher „schnellen Tipps“ ist das nicht falsch, aber natürlich eine grobe Vereinfachung. Der Algorithmus empfiehlt Userinnen und User, wovon diese sich viel anschauen und das kann sich schnell ändern. Als ich kürzlich anfing, mich für die satirischen Musik von Lonely Island zu interessieren, ruhte der Algorithmus nicht, bis ich alle Videos der Truppe gesehen hatte, schickte mich aber auch gezielt weiter zur Sketch Comedy Show „Saturday Night Live“, für die viele der Videos von Lonely Island entstanden. Ich stöberte hier im Archiv und seither wird meine YouTube-Startseite von SNL-Sketchen bevölkert, viele davon nur um die fünf Minuten lang, manchmal nur zwei. Der Algorithmus empfiehlt also keinesfalls ausschließlich Videos ab 8 Minuten – er empfiehlt Nutzer*innen das, was genau diese Person dazu bringt, viel Zeit auf der Plattform zu verbringen.

Dennoch bedeutet das auch häufig, dass lange Inhalte bevorzugt empfohlen werden (lange Videos = viel Zeit, die auf YouTube verbracht wird) und das vornehmlich an eine Gruppe: Nicht-Abonnenten Eures Kanals!

Zur Veranschaulichung ein Beispiel

Nehmen wir einen Kanal, der sowohl eher kurze (um 4 Minuten) als auch längere (um 45 Minuten) Videos hochlädt und schauen, wie die Zuschauerbindung nach Subscriber-Status ist. Hier die Werte aus zwei unterschiedlichen Zeiträumen; einem, in dem der Kanal besonders stark auf den Startseiten der Nutzer empfohlen wurde, und die letzten 90 Tage als Kontrollzeitraum.

Abonnenten YouTube
Zuschauerbindung nach Subscriber-Status, Zeit besonders starker Empfehlung im Algorithmus.
Abonnenten YouTube
Zuschauerbindung nach Subscriber-Status, letzte 90 Tage.

Wir sehen bei beiden Abbildungen dieselbe Auffälligkeit: Die durchschnittliche Zusehdauer (Average view duration) ist bei den Nicht-Abonnenten höher, der durchschnittlich angesehene Prozentsatz eines Videos (Average percentage viewed) ist jedoch geringer. Ergo: Die Nicht-Abonnenten haben vermehrt Content angesehen, der länger ist. Das war in der Zeit der starken Empfehlungen besonders ausgeprägt, wo Nicht-Abonnenten im Schnitt über drei Minuten länger gesehen haben.

Wenn man in die beiden wichtigsten Algorithmus-getriebenen Zuschauerfaktoren schaut, Views über die Homepage und über Empfehlungen, zeichnet sich hier der exakt selbe Trend ab, nur dass die durchschnittliche Zusehdauer auch für die Zeiten ohne besonders starken Algorithmus-Push signifikant höher ist. Auch im „Normalbetrieb“ werden also längere Videos eher an Nicht-Abonnenten ausgespielt, während Abonnenten eher auch die kurzen Inhalte zu sehen bekommen.

Der kurze Content auf dem Kanal wird nämlich ebenfalls sehr gut angenommen. Aber eben vor allem von bestehenden Abonnenten und nicht so hervorstechend stark wie die langen Videos (einzelne Ausnahmen disruptieren die Regel und – dazu bald ein eigener Artikel – werden anscheinend stärker). Und auch Subscriber wollen eindeutig mit interessanten Themen und ansprechenden Titeln und Thumbnails abgeholt werden, ansonsten klicken sie auch bei einem eigentlich beliebten Kanal weniger.

Vor allem funktioniert nicht jeder lange Content automatisch gut. Manche lange Videos können spontan gar nicht punkten, die allerdings auch direkt zu Anfang einen „Rausschmeißer“ beinhalten, ein verstörendes oder unangenehmes Bild. Ein 45 Minuten-Video, das innerhalb der ersten 25 Sekunden ein Drittel seiner Zuschauer verliert, wird in den Empfehlungen wohl aus verständlichen Gründen weniger Chancen haben oder braucht länger, um eine geneigte Zuschauergruppe zu finden. Daher gilt, was immer galt: Content is King. Wer keine interessanten, einnehmenden Inhalte zu bieten hat, darf nicht erwarten, dass der Algorithmus einen wegen guter SEO mal eben zum Star macht.

Die Lektion sollte also eher sein: Teilt Euren Top-Content nicht in einzelne Videos auf. Insbesondere der, der geeignet ist, neue Zuschauer abzuholen, der Leute ansprechen kann, die Euch bislang noch nie gesehen oder wahrgenommen haben. Eure Stammzuschauer mit kurzen Videos zu füttern, wenn Ihr vor allem eben kurze Videos produzieren könnt (auch bekannt als „Hygiene-Content“, Eure Alltagsinhalte), ist völlig legitim und wird Euch nicht schaden, nur werdet Ihr damit weniger neue Abonnenten ansprechen. Lange, interessante Videos dagegen („Hero-Content“), werden von YouTube belohnt und helfen Euch, neuen Zuschauern aufzufallen.

Takeaways

  • Lange Videos werden vom Algorithmus vermehrt an Nicht-Abonnenten empfohlen.
  • Kurze Videos werden dafür auch auf Homepage und in den Suggests eher an Abonnenten ausgespielt.
  • Kurzer Content zur Aufrechterhaltung des Kanalbetriebs ist völlig legitim.
  • Um neue Zuschauer anzusprechen, sind lange Videos zu bevorzugen – produziert regelmäßig lange Videos (ruhig oberhalb von 20 Minuten).
  • Langer Content, der nicht lange angesehen wird, wird vom Algorithmus nicht gepusht. Daher auf einnehmende Inhalte und Struktur der Videos achten.

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